Panorama
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Nahtoderfahrung
Der Vierjährige, der im Himmel Jesus traf
Von Konrad Ege
Veröffentlicht am 19.05.2014Lesedauer: 4 Minuten
Jesus hat ein Regenbogenpferd, der Heilige Geist schimmert bläulich: In den USA feiert der Film über das Nahtoderlebnis eines Vierjährigen Erfolge. Das Extremphänomen hat große Konjunktur in Amerika.
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Den Himmel gibt es wirklich: „Heaven Is for Real“, so heißt ein Bestseller aus den USA, dessen Verfilmung gerade läuft und schon mehr als 75 Millionen Dollar eingespielt hat. Es geht um das Nahtoderlebnis eines Vierjährigen, der erzählt, er habe Jesus, Maria und Gott getroffen, als er mit einem Blinddarmdurchbruch in Lebensgefahr schwebte. Das Thema liegt im Trend: In den USA interessieren sich die Menschen zunehmend fürs Jenseits und das Phänomen Nahtoderfahrung. Nicht alle Theologen sind begeistert.
Nach Darstellung der Filmemacher hat sich die „Heaven Is for Real“-Geschichte wirklich zugetragen. Und zwar im Jahr 2003 in Imperial in Nebraska, einem Dorf mit 2000 Einwohnern und einem Dutzend Kirchen. Todd Burpo ist Pastor der evangelikalen „Crossroads Wesleyan“-Gemeinde. Seine Frau Sonja kümmert sich um die beiden Kinder Colton und Cassie und um die Kirchenmusik. Doch so richtig läuft das alles nicht; um finanziell über die Runden zu kommen, installiert Burpo Garagentüren.
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Da platzt dem vierjährigen Colton der Blinddarm. Der Kleine kommt durch und erzählt: Er sei im Himmel gewesen und habe Jesus gesehen. Auch Gott, Maria, Petrus und eine ihm unbekannte zweite Schwester. Sonja Burpo, stellt sich heraus, hatte Jahre zuvor eine Fehlgeburt. 2010 schrieb Todd Burpo mithilfe von Lynn Vincent, Koautorin der Autobiografie der ehemaligen republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, den Bestseller, aus dem dann der Film wurde. In christlichen Talkshows wurden Todd und Colton gefeiert. Sie machten Menschen Hoffnung, erklärte Megakirchenpastor T. D. Jakes von der Potters House-Kirche im texanischen Dallas.
Der Himmel – ein „großes Entertainment-Center“
Das Buch lag im Trend, erläutert Historiker Gary Scott Smith, Autor der Studie „Der Himmel in der amerikanischen Vorstellung“. Zahlreiche derartige Werke seien in den vergangenen Jahren erschienen. Das Bild vom Jenseits habe sich dabei den gesellschaftlichen Umständen angepasst, sagte Smith. Heutzutage sei der Himmel in der Vorstellung vieler oft so etwas wie ein „großes Entertainment-Center“. Und Gott sei der Psychologe, der seelische Wunden heile.
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Protestantische Christen in den USA waren lange skeptisch und sahen Nahtoderfahrungen als esoterische New-Age-Fantasien. Bis 2004 ein Buch des Baptistenpredigers Don Piper für Aufsehen sorgte: Er sei nach einem Autounfall 90 Minuten lang im Himmel gewesen, berichtete er, die Straßen dort seien tatsächlich aus Gold. 2010 erschien dann der Bestseller „Der Junge, der vom Himmel zurückkam“ über den sechsjährigen Alex Malarkey, der ähnlich wie Colton Burpo den Himmel besucht haben will.
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Nur ganz selten berichten die Menschen mit Nahtoderfahrungen von der Hölle – was wohl die spirituelle Landschaft widerspiegelt. Bei einer Umfrage des Fernsehsenders CBS erklärten im April 2014 mehr als drei Viertel der Befragten, sie glaubten, dass ein Himmel existiere. Von diesen Gläubigen erwarteten 82 Prozent sicher, dorthin zu kommen. Nur zwei Prozent meinten, sie kämen in die Hölle.
Das sagt die Wissenschaft zu Nahtoderfahrungen
Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit Nahtoderfahrungen. Die Neurologin Jimo Borjigin an der Universität von Michigan hat 2013 bei Versuchen mit Ratten festgesellt, dass deren Gehirn kurz vor dem Verenden extrem aktiv wird. Einige Forscher erklären Nahtodzustände auch als Halluzinationen etwa infolge von Sauerstoffmangel im Gehirn oder der Ausschüttung von Stresshormonen in Extremsituationen.
Der Arzt Sam Parnia von der Universität Stony Brook in New York vertritt in seinem Buch über Wiederbelebung („Erasing Death“) die Ansicht, die Medizin müsse sich intensiver mit dem sogenannten Nahtod befassen: Dank medizinischer Fortschritte habe sich der Zeitraum zwischen Eintreten des Todes und potenzieller Wiederbelebung deutlich verlängert.
Doch was tun mit einem Colton Burpo, der sagt, Jesus habe blaue Augen und ein Pferd in den Farben des Regenbogens, und der Heilige Geist sei bläulich? Colton ist heute ein Teenager, und er hält fest an seinen Erfahrungen. In den USA gibt es offenbar genug Kinogänger und Leser, die dies als „Beweis“ dafür sehen, dass es einen Himmel gibt.
Manche US-Theologen aber bleiben skeptisch: Wer an die Bibel glaube, brauche solche Geschichten nicht, urteilt etwa der baptistische Theologe Todd Brady: Der „Himmel“ in „Heaven Is for Real“ sei wohl „eher ein Produkt des Denkens moderner Amerikaner“. Bis heute könnten Nahtoderfahrungen nicht eindeutig und schlüssig erklärt werden, erklärte die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin.
Der Begriff Nahtoderfahrung wurde vor allem geprägt durch die Arbeiten des 1944 geborenen US-amerikanischen Arztes Raymond Moody, der in den 70er-Jahren den Bestseller „Leben nach dem Tod“ schrieb. Zur Bekanntheit des Phänomens in der breiteren Öffentlichkeit trug die aus der Schweiz stammende Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) bei.
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